Ist schlecht = böse?

Luke Russell – „Das Böse“ (Being Evil)

von Frank Becker

Ist schlecht = böse?
 
Versuch einer philosophischen Analyse
 
 
Das Böse ist immer und überall!
Thomas Spitzer (EAV)
 
Die eigentlich und im Grunde schöne Welt sieht sich täglich schlimmen Ereignissen, skrupellosen Übeltaten, dem und den Schlechten, dem Bösen ausgesetzt. Doch halt, sagt Luke Russell bei der Wortfindung „böse“, denn Das Böse bedürfe, bevor man Wort und Begriff benutzt, einer genauen Untersuchung und Definition.
In der philosophischen Spurensuche, die er in seinem 2020 veröffentlichten Buch „Beiing evil“ anstellt, und die jetzt in einer brillanten deutschen Übersetzung in der Reclam-Reihe „Denkraum“ zu haben ist, versucht Russell, die oben genannten Begriffe zu trennen, um einen Zugang zu dem zu finden, was von seinem Wesen her die Verkörperung dessen ist, was wir als falsch, schlecht, übel, verbrecherisch oder grausam empfinden und das all diese negativen Eigenschaften in den Schatten stellt: Das Böse.
 
Zweifellos wird wohl kaum jemand von gesundem Menschenverstand daran zweifeln, daß der vom russischen Diktator Wladimir Putin befohlene verbrecherische Angriffskrieg Rußlands gegen die Ukraine mit seinem permanenten Bombenterror gegen die Zivil-Bevölkerung ein Menschheitsverbrechen ist, Putin folglich böse. Und niemand, sei er einigermaßen bei Trost, wird das Abschlachten, Foltern und Entführen von mehr als 1200 Menschen in Israel durch die islamischen Terroristen der Hamas gut heißen und nicht böse nennen können. Ebenso verhält es sich bei wie auch immer motivierten entsetzlichen Taten wie der Auslöschung der Inka durch die Spanier, der katholischen Inquisition, dem Holocaust unter Hitler, dem Massenmord der Sowjets am eigenen Volk unter Stalin, dem Auslöschen eines Viertels der Bevölkerung Kambodschas durch die Kommunisten der Roten Khmer unter Pol Pot 1975, dem grauenhaften Massaker 1994 der Hutu an den Tutsi in Ruanda oder dem islamischen Attentat auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001. Dieses schreckliche Liste ließe sich beliebig fortsetzen, ergänzt durch unfaßbare Verbrechen durch Einzeltäter, ideologisch motiviert wie der Norweger Anders Breivik, religiös verbrämt wie die islamischen Attentäter in aller Welt – oder Mörder, die wie der Österreicher Jack Unterweger, der Deutsche Fritz Haarmann oder die Clique der „Family“ um den Amerikaner Charles Manson. Ich möchte hinzufügen, daß Vergewaltigungen schlechthin nicht „nur“ verbrecherisch, sondern Verkörperung des Bösen sind. Die Gerichte in Deutschland und z.B. in Indien scheinen das noch nicht erkannt zu haben.
 
All das oben Aufgezählte kann man reinen Herzens als rundweg böse betrachten und sich die Frage stellen, ob also Männer wie Adolf Hitler, Reinhard Heydrich, Josef Stalin, Wladimir Putin, Idi Amin, Pol Pot, Ratko Mladić und ähnliche Kreaturen der Welt- und Kriminalgeschichte nun schlechte Menschen sind, kriminell veranlagt, geisteskrank oder eben die Inkarnation des Bösen.
Luke Russell aber tut sich nicht leicht mit der Kristallisierung des Begriffs „Böse“, er untersucht akribisch die philosophischen Differenzierungen, den Charakter, die Motivation und die Soziologie von Taten und Tätern. Sein Buch ist ein Versuch, muß ein Versuch bleiben. Die Lektüre ist eine Anforderung, jedoch eine lohnende.
 
Luke Russell – „Das Böse“ (Being Evil)
Eine philosophische Spurensuche – Aus dem Englischen übersetzt von Michael Müller
© 2023 Philip Reclam jun., 156 Seiten Klappenbroschur, Quellen, Literaturhinweise, Register  - ISBN978-3-15-011371-4
18,- €
 
Weitere Informationen:  www.reclam.de